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MIDNIGHT SKY

Regie: George Clooney. Darsteller: George Clooney, Felicity Jones, David Oyelowo. Drehbuch Mark L.Smith nach dem Roman von Lily Brooks-Dalton. Musik Alexander Desplat. Kamera Martin Ruhe.

Kritik von Susan Vahabzadeh - Süddeutsche Zeitung

MIDNIGHT SKY Der Polarstern ist von überall auf der Nordhalbkugel der Erde zusehen. Das macht ihn zu einem poetischen Symbol der Verbundenheit - er ermöglicht einen gemeinsamen Blick, über Kontinente und Meere hinweg. Aber kann man ihn eigentlich von einem Raumschiff im All aus sehen?

Am Anfang von George Clooneys neuem Film "The Midnight Sky" herrscht zu viel Aufregung am Nordpol, um darüber nachzudenken. Eine Forschungsbasis in der Arktis wird da gerade zurückgelassen, eine große Evakuierung ist im Gange. Eine Frau sucht ihre kleine Tochter, aber ihr wird gesagt, das Kind sei schon fortgebracht worden. Die Menschen verschwinden - wohin ihre Reise gehen soll, das sieht man nicht, und weiß auch nicht so recht, wovor sie sich fürchten.

Eine nicht näher bezeichnete globale Katastrophe, die bald auch die Arktis erreichen wird, zwingt sie zur Flucht. Ihre Welt wird bald unbewohnbar sein. Irgendwann kehrt Stille ein im Schnee. Einer ist zurückgeblieben. Er sieht jetzt schon so aus, als ob ihn sein Bart nicht mehr kümmert, keinen stört es mehr, wie zottelig er ist. Augustine Lofthouse - Clooney spielt ihn selbst - wirkt müde und angestrengt, als er allein nach drinnen geht.

Das Werk ist eine Mischung aus Dystopie und mythischer Hoffnung

Augustine Lofthouse ist Astronom, der Mitternachtshimmel war seine ganze Welt. "The Midnight Sky", basierend auf einem Roman von Lily Brooks-Dalton, spielt im Jahr 2049. Ihre Erde haben die Menschen zerstört, die Hoffnung auf eine neue Heimat hat sich zerschlagen - ein Raumschiff ist unterwegs, die Mannschaft sollte den Mond K 23 auf seine Tauglichkeit für eine Übersiedlung der Menschheit zu prüfen, doch es gibt noch keine Antwort. Die Astronauten sind zu weit weg, und nun ist es zu spät. Augustine weiß das.

Für ihn ist die Reise zu Ende. Er legt sich selbst eine Infusion, horcht in die Stille hinein. In kleinen Flashbacks hat man eine Frau gesehen, die ihn verlassen hat, weil nichts mit seiner großen Liebe, der Astronomie, konkurrieren konnte; es gibt da eine Tochter, die er nicht kennt. Nun ist Augustine todkrank. Was aber soll hier aus ihm werden? Nicht einmal den Zugang in seinen Arm könnte er erneuern, nun vollkommen allein auf der Welt.

Ein Geräusch schreckt ihn auf, und er findet in der Station ein kleines Mädchen. Nun hat er eine Aufgabe: Er muss sich um sie kümmern, sie antwortet fast nie, doch als sie eine Blume malt, findet er heraus, dass sie Iris heißt. Aber da ist noch etwas: Mit letzter Kraft versucht er, immer wieder, das Raumschiff anzufunken - wenn es noch irgendeine Zukunft geben soll für das menschliche Leben, dann muss er die Astronauten darin warnen, dass sie nicht wie vorhergesehen auf der Erde landen können.

Augustine mobilisiert noch mal alles, er muss das zu Ende bringen. Ein bisschen wie in dem berühmten Gedicht von Dylan Thomas, das sich auflehnt gegen das Sterben des Lichts: "Geh nicht gelassen in die gute Nacht. Brenn, Alter, rase, wenn die Dämmerung lauert; Im Sterbelicht sei doppelt zornentfacht". Das Studium des Mitternachtshimmels, sein Lebenswerk,war kein Selbstzweck - seine Arbeit ist die Basis für die Mission im All.

Es gibt eine Wetterstation mit besseren Geräten, dahin machen sich Augustine und die kleine Iris auf, durch todbringende Stürme und schmelzendes Eis. Auch an Bord des Raumschiffs überstürzen sich die Ereignisse - die Crew macht sich Sorgen, weil auf der Erde niemand mehr antwortet, die Wissenschaftlerin Sully (Felicity Jones) ist schwanger von Commander Adewole (David Oyelowo). Schon deswegen gibt es bald Diskussionen, ob die Crew umdrehen soll. Denn die Nachricht, die sie nicht durch den Äther bekommen, wäre positiv: K 23 ist bewohnbar.

"The Midnight Sky" ist eine Mischung aus Dystopie und mythischer Hoffnung; über die Entscheidung bei Netflix, diesen Film in einem Jahr wie dem, das hinter uns liegt, als großes Feiertagsereignis zu starten, kann man streiten. Will man zum Schluss noch zuschauen, wie die Menschheit versucht, sich selbst endgültig auszulöschen? Irgendwie schon, denn Clooney ist selbst voller Hoffnung für die Welt, und das überträgt sich auf seine Geschichte: Er erzählt davon auf eine Art, die in sich etwas Tröstliches trägt - weil der Weg so schön ist, die Musik, mit der Alexandre Desplat den Film untermalt, so betörend, das Licht so zart.

Das ist ein bisschen so wie bei William Faulkner: Das Licht, die Hoffnung, lag auch in seinen düstersten Geschichten. Er weigere sich, hat Faulkner 1950 in seiner Nobelpreisrede gesagt, das Ende der Menschheit zu akzeptieren; der Mensch sei unsterblich, weil er eine Seele habe. Clooney ist vielleicht kein cineastischer Faulkner, aber so ähnlich ist es dennoch in seinem Film: Es gibt Liebe und Verantwortungsgefühl und eine unaussprechliche Schönheit in allen Dingen. Der Weg bis zum Silberstreif am Horizont ist allerdings recht weit in "The Midnight Sky".

Von Susan Vahabzadeh - Süddeutsche Zeitung